heidi mühlschlegel

Kunst ist: Es trotzdem zu machen!


Gedanken zu Werken von Heidi Mühlschlegel

Ingrid Thorwart, 2010

Von der Decke hängt bäuchlings ein Wesen, das wie ein Fallschirmspringer Arme und Beine von sich streckt. Man könnte auch an eine fallende Katze denken. Den Kopf dieser Kreatur zwischen Mensch und Tier bildet ein zerbeulter Fussball aus Stoff , eine Clownsnase aus einem Samtballen und ein Hut aus einer Stoffeistüte sind daran angenäht. Dieser Kobold mit seinem freundlichen Lächeln streckt die vier Extremitäten wie Gewächse oder Wucherungen, von sich. Sie enden teilweise in schnabelartige oder verdickte Auswüchse. Ein verhältnismässig grosser Penis – oder ist es ein Tierschwanz?- ragt zwischen den ausgebreiteten Beinen, geformt aus einem ausgestopften Stück blauer Feinstrumpfhose. Er sieht wie ein drittes Bein aus, wirkt jedoch viel weicher und schwächer als Arme und Beine.
Tier Eierfuss haengt von der Decke
Punkte zu Gewebe in Figur und Bild Figur (Eierfuß)/ Gemälde
Färberei München, 2010

Das Zwischenwesen, genannt: Der Eierfuß ist aus einer kaum überschaubaren Vielzahl von gemusterten Stoffen zusammengenäht. Weich, kosig und einladend, wie ein Kuscheltier ist dieser Körper jedoch nicht.

Im Gegenteil: Arme und Beine sehen zunächst aus wie aus irgendeiner Masse geformt, da sie aus Schichten Stoffen, kleinen Bildchen und einem Überzug aus Farbe entstanden sind. Rigoros und derb wirkt diese Manier vor allem wenn noch Netz und Spitze mit Farbe verkleistert werden und vor allem wirkt das so als würde so eine Arbeit Schritt für Schritt im Machen entstehen. Es wird so eine Tüpfelstruktur erzeugt, die in Wechselwirkung mit den Stoffmustern der Figur mehr Volumen und Tiefe verleiht. Der Körper erhält dadurch einerseits eine Geschlossenheit und Dichte, greift andererseits durch die in Leuchtkraft und Farbton gekonnt abgestuften Pünktchen mehr in den Raum aus.

Textiltier
Damit wird sowohl die Begrenztheit des Textilmaterials als auch die Grenze zwischen Malerei und Plastik aufgebrochen. Gleiches passiert auch mit der Geschlossenheit dieser figürlichen Form an sich. Aus dem Bauch der Figur quillt eineVielzahl kleinerer Objekte, wie z.B gestrickten Eierwärmern, hölzerne Spielfiguren etc., hervor, die nur schwach von einem blauen Netz zusammengehalten werden. Auch ein auf Stoff gedrucktes Bild von einem Embryo steckt in dieser "Bauchtasche". Innen und Außen ist hier in einem fließenden Übergang gestaltet, nicht zuletzt mithilfe der die Mehrschichtigkeit verstärkenden Farbstreuungen. Mit diesem üppigen Sammelsurium an textilen Formen, fransigem haarigem Plüsch, heraushängenden Bündeln von Strickbommeln wird die Überfüllung des Bauches auf die Spitze und der Bauch damit fast zum Platzen gebracht. Hat das etwas mit Schwangerschaft zu tun, fragt man sich? Weibliche und männliche Geschlechtlichkeit, Fruchtbarkeit das scheinen alles nur Einzelteile in dieser Wundertüte zu sein, die diese Figur ausmachen. Oder es sind "Läuse im Pelz" von einem sehr eigenständigen, charakterstarken Wesen, das in keiner Schublade Platz hat.
Puppe mit vielen Schnueren
Landung (Rücken/ Ausschnitt)
2009
Kindersachen, Babyfigürchen und so weiter sind auch in dem Schwall der Objekte, zu finden, der die Plastik "Landung" bildet. Gewagt steht diese wiederum fast ausschließlich aus Textilmaterial zusammengesetzte Figur auf 2 Beinen, während ihre Füsse in gelben Kinderskischuhen stecken. Das Prinzip der überbordenden, die Oberfläche sprengenden plastischen Gestaltung kommt hier noch stärker und explizit zu Tage. Der Kopf, eine Stoffpaprika ist aufgeplatzt, das Innere dringt nach außen. Das Gleiche bei dem kleinen Anhängsel der Figur, eine Marionette die von ihrem Rücken hängt und deren Kokosnusskopf geplatzt ist. Der wenig zimperliche Umgang mit dem Material ist ebenfalls ein Charakteristikum dieser Arbeiten. Schönheit im Sinne von Unversehrtheit wird einerseits rigoros negiert, anderseits wieder neu hervorgebracht z.B. durch perlengeschmückte Oberflächenpartien. In dieser dialektischen Zusammensetzung erhält der Aspekt Ästhetik eine ironisch, zynische Brechung. Versehrtheit in Verbindung mit Schmuck vermitteln den Eindruck einer makaberen Ästhetik, wie sie Reliquien in alten Kirchen eigen ist.
Detailansicht Figur mit feinen Strukturen
Landung (Seite/ Ausschnitt)
Textil/ Kleinteile/ Skistiefel
2009
Barocker Überschwang scheint allerdings ein überaus stichhaltiger Bezugspunkt zu Heidi Mühlschleges Werken zu sein. Bei "Landung" wird wie bei " Eierfuß" durch Aufsetzen von leuchtenden, farbstarken Akzenten auf opakerem Untergrund ein Ausgreifen der Form in den Raum hervorgebracht wie man es aus der Barockmalerei kennt. Auch ist die damit erreichte Bezugnahme zu Bildern -vor allem in einer gemischten Präsentation Bilder und Objekte eklatant sichtbar- und wie diese beiden Gattungen optisch ineinander übergreifen, parallell zu barocken Gesamtkunstwerken zu sehen.
In diesen Bezugsrahmen passt die Figur mit ihren Gliedmassen aus gestopften Gebrauchtkleidern, ihrem geborstenen Früchtekopf, den applizierten Dekofrüchten und Blüten sicher gut. Doch lassen sich die Arbeiten auch hier wieder nicht endgültig einzirkeln, sondern negieren diese barocke Schönheitssucht wieder frech. Die erwähnten kaputten Partien, die Alltagskultur, die durch den Batman auf der Kinderbadehose vertreten ist, setzen einen eindeutigen Kontrapunkt und scheinen den Vorwurf einer typisch floral-barocken Frauenkunst ad absurdum zu führen.
Textilfigur von vorne mit geplatztem Kopf
Landung
Textil/ Acryl/ Kleinteile/ Skistiefel/ Bauschaumpaprika (Susu Gorth)
120 cm x 90 cm x 70 cm
2009

Gebrauchte Kleider, Hauptarbeitsmaterial der Künstlerin, rücken außerdem in dieser Arbeit mehr als Ganzes, als "ready-mades", in den Blickpunkt als beim "Eierfuß". Kleider sind etwas Privates fast Intimes und wenn sie abgelegt sind hinterlassen sie eine Leerstelle, eine Abwesenheit. Man fragt sich, wem die Schuhe oder die mit kunterbunten Wollstücken überarbeitete Jeans wohl gehört haben, ob es einen biografischen Bezug gibt. Mit den Puppen, - die Plastiken können ruhig als solche bezeichnet werden- schließt sich wiederum die Leerstelle. Auch wird man an die Verwendung von Kleidern als Devotionalien, oder an ihre Bedeutung zum Beispiel bei Reliquien oder Andachtsfiguren des Barock erinnert. In einen neuen Kontext überführt erhalten sie einerseits eine neue Aufladung mit Bedeutung, bringen andererseits auch eine sehr lebendig menschliche Konnotation in das Kunstwerk mit ein. Menschlichkeit und Weichheit der Textilien finden eine Entsprechung in mehreren Aspekten im WERK der Arbeiten von Heidi Mühlschlegel:
Wie Wasser, fließend sprudelbildend zeigt sich auch die Grundstruktur der Gemälde. Flecken an Flecken setzt Heidi auf das Bild. Es ergibt sich eine Textur von übereinanderliegenden kontrastierenden fedrigen Strichen, Flecken oder Punkten, die reliefartig einen Tiefenraum eröffnet. Sie ist wiederum an das Endlosmuster von Stoffen angelehnt. Bei dem Bild "Meerschweinchen" von 2009 z.B. kann man im unteren Bereich bis auf fast halber Höhe einen Giraffenplüsch und darüber feuerroten Plüsch mit Schwarzem Spinnenmuster als Untergrund erkennen. Die industriell gefertigten "Raubtierfelle" und Tiermuster wirken sehr amüsant kitschig und dienen in ihrer stupenden industriell gefertigten Art als Kontrastfolie zu der Gestik und Subtilität der Malerei. Das Pathos dieser Malerei wird hier regelrecht auf die Schippe genommen. Zu sehen auch sehr schön in kleineren Bildern der Künstlerin, wo nur Malgestus und Plüsch aufeinander treffen. Die leuchtenden Farben der Bildtafel "Meerschweinchen" entführt einen in eine Galaxis voller glühender Farbsterne und leuchtender Andromedanebel. Man kann auch andere Unendlichkeitsstrukturen assoziieren, wie üppige Blumenwiesen oder ein Dschungel von oben. Gleichzeitig mit dem Gefühl der Entgrenzung die einen vor diesem Bild beschleicht trifft man wieder auf eine anheimelnde, üppige Stofflichkeit als Gegenstück. Genau, wie in die Pastiken der Künstlerin möchte man das Bild am liebsten anfassen, die unterschiedlichen Oberflächenstrukturen abtasten. Die bis zur Entgrenzung dichtgedrängte Stofflicheit ist das Element des Geistigen, das im Gegensatz zu all der Kreatürlichkeit und sinnlichen Greifbarkeit der Arbeiten von Heidi Mühlschlegel steht.

Plueschbild
Meerschweinchen
Acryl auf Plüschflickwerk
105 cm x 75 cm
2009

Die meisten neueren Bilder tendieren eher zu einer dichteren und zusammenhängenderen Fleckenstruktur. Der nach wie vor tief und vielschichtig wirkende Farbstrom sieht eher wie eine Teigmasse als wie ein Farbnebel aus. Viele solche Ströme oder Dolden aus Flecken scheinen übereinander zu liegen. Man kann sich vorstellen, wie das fertige Bild Ergebnis eines langen Schaffensprozesses ist. Der Farbstrom erfährt oft Teilungen, die eine Insel freilassen, die sich oft zu einer konkreten Form ausbildet, meistens zu einer menschlichen Form. Oder die Form entsteht, wie von selbst aus den Flecken und scheint völlig flüchtig, wie eine Blase, die schnell wieder verschwinden kann. Dieses natürliche Hervorbringen- und Zurücknehmen, entspricht dem Arbeitsprozess, der hinter den Arbeiten steckt. So ist die Struktur der Bilder von Heidi Mühlschlegel primär offen nur die Ausgangsmaterialien wie Farbe und Stoffe sind festgelegt. Gemusterte Stoffballen oder kleinteiliger Zierrat, wie Kettchen oder Spitze verweben sich zusammen mit der Farbstruktur zu einem Mahlstrom, der weit über den Bildrand hinauszuschwappen scheint. (Sehr schönes Beispiel hier: "Kein schöner Bayern")

Gemaelde auf Luftmatratzenstoff
Kein schöner Bayern
Acryl/ Luftmatratzenstoff/ Stöpsel/ Glasperlen/ Spitze/ Applikation
150 cm x 140 cm
2009

Diese psychoaktionistische Malerei, das Hervorbringen der Bilder durch automatistische Techniken scheint Schnee von gestern. Bei Heidi Mühlschlegel wirkt dies aber wie die natürlichste Sache der Welt und hat nicht das Geringste mit einer zwanghaften Befreiungsmalerei zu tun.
Trotzdem ist auch bei den Bildern, diese Art Hervorbringung in einem tastenden rhythmischen Prozess ohne Vorsatz wiederum sehr entscheidend. Themen, das gilt vor allem für die letztgenannte Bildgruppe mit den figürlichen Szenen, werden so nach oben gespült, tauchen immer wieder auf oder verflüchtigen sich. Das sind oft biografische Themen, wie der Orakelspruch des Akademieprofessors, dem Künstler bliebe die Wahl zwischen arbeiten oder baden gehen, den die Künstlerin in vielen Bildern und Werken aufgreift, oder das Thema Pferd, das Objekt der Begierde aus Mädchentagen. Nie drängt sich ein Thema oder ein Motiv in den Vordergrund, meistens ist ein Bild oder eine Plastik von Heidi Mühlschlegel beziehungsreich und raumgreifend im Rahmen des Gesamtwerkes oder der Biografie.

Denn hierin besteht die Stärke dieser Arbeiten: über Einordnungen, über das Psychologische, das Handwerkliche, über das Künstlerische im Sinnes des Ästhetischen, ja und letztendlich über die Sinnfrage hinaus immer noch einen Schritt weiter zu machen, es trotzdem zu machen.

Ausschnitt aus dem Gemaelde
heidi mühlschlegel